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Interview mit Bildungsjournalist Birk Grüling

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Jasmin

06. Mai 2021


Lieber Birk, stell Dich doch bitte kurz mal vor. Wer bist Du und was machst Du gerade? 

Also mein Name ist Birk Grüling. Ich bin Papa eines Vierjährigen, lebe im Hamburger Speckgürtel und arbeite als freier Journalist. Ich schreibe über Elternthemen, Bildung und Wissenschaft – mal für große Leser:innen, mal für kleine Leser:innen. Außerdem ist gerade mein erstes Buch „Eltern als Team“ erschienen und im Moment arbeite ich noch an zwei Kinderbüchern.

Vor kurzem hast Du Dein Buch "Eltern als Team - Ideen eines Vaters für gelebte Vereinbarkeit" herausgebracht. Wie kam es dazu, dass Du zu diesem Thema ein Buch schreiben wolltest und was erwartet darin die Leser?

Ich habe mich als Journalist, aber auch privat immer wieder sehr mit der Frage auseinandergesetzt, wie will ich arbeiten und, wie präsent will ich im Leben meines Sohnes sein. Ein ganz wichtiger Moment in diesem Zusammenhang war der Tod meines eigenen Vaters in der Schwangerschaft meiner Frau. Das hat mich sehr zum Grübeln gebracht.

Mein Vater hat immer viel gearbeitet und wenig auf seine Gesundheit geachtet. Am Ende hat er dadurch seinen Enkel verpasst. Und aus der persönlichen Beschäftigung wurde erst die private Suche nach Lösungen und mehr Gleichberechtigung in Arbeit und Erziehung und später dann viele Texte und eben dieses Buch. Von dieser Suche erzähle ich in meinem Buch und stelle dabei auch noch viele kluge Menschen und ihre tollen Ideen in Sachen Vereinbarkeit vor. Die Leser:innen erwartet also kein Patent-Rezept, sondern viele Impulse, wie sie selbst ihre Vereinbarkeit in die Hand nehmen können.

Deiner Meinung nach, wie können die Gesellschaft und die Politik die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern? Und was steht dem immer noch im Weg?

Oh, die Liste ist lang. Es gibt immer noch nicht genug Bewusstsein für die Bedürfnisse von Eltern. Das hat die Pandemie deutlich gezeigt. Es gibt noch nicht genug Betreuungsplätze. Es gibt nicht genug Qualität in der Betreuung. Oft passen Betreuungszeiten und Arbeitszeiten nicht zusammen. Es wird nicht genug in frühkindliche und schulische Bildung investiert.

Auch in der Wirtschaft gibt es großen Nachholbedarf, Arbeitsmodelle und -zeiten müssen viel flexibler und familienfreundlicher werden. Homeoffice sollte eine Selbstverständlichkeit sein, genauso wie Führungspositionen in Teilzeit oder angemessene Bezahlung in den Care-Berufen, die oft von Frauen gemacht werden. Von der Überwindung der Gender Pay Gap ganz zu schweigen.

Außerdem gibt es immer noch genug steuerliche Anreize, die eine „Gleichberechtigung“ in Erwerbsarbeit eher bestrafen als fördern – siehe das Ehegattensplitting. Und als Gesellschaft tun wir uns noch schwer mit überholten Rollenbildern von der Super-Mutter als Kümmererin und dem Vater als Versorger zu brechen. Trotz diesem immensen Nachholbedarf können wir als Eltern auch in Sachen Vereinbarkeit viel tun. Wir können an unseren eigenen Lebensmodellen arbeiten, die Care-Arbeit gerechter aufteilen, Familienfreundlichkeit am Arbeitsplatz mitgestalten – das ist anstrengend, lohnt sich aber sehr.

Wie organisiert ihr euren Familienalltag? Gibt es eine klare Aufgabenverteilung zwischen Dir und Deiner Frau?

Anfangs haben wir auch noch in eher klassischer Aufteilung gelebt. Vor knapp drei Jahren bekam dann meine Frau eine tolle berufliche Chance und wechselte in die Verlagsbranche – in Vollzeit und ich habe dafür wieder angefangen als freier Autor zu arbeiten.

Im Moment arbeite ich als 30 Stunden und meine Frau 40. Und den Rest der Zeit teilen wir uns gleichberechtigt auf. Dabei hat jeder seine Aufgaben: ich bin eher für das Kochen und das Einkaufen zuständig, meine Frau eher für Wäsche und die Blumen im Garten. Auch in Sachen Mental Load ist die Last ziemlich gut verteilt.

Was ist für Dich die größte Herausforderung als Papa?

Die größte Herausforderung ist wahrscheinlich die ständige Veränderung. Mit Anfang 30 hatte ich das Gefühl, zu wissen, wie der Hase läuft – jedenfalls so ungefähr. Ich war von Zuhause ausgezogen, hatte lange Zeit an der Uni verbracht, den Jobeinstieg geschafft, mich um die Altersversorge gekümmert, ein paar Länder bereist, schon mal ein Zimmer tapeziert.

Und nun kommt das Kind und plötzlich alle „Lebenserfahrung“ für die Katz. Bei den ersten Windelwechseln und Anziehen habe ich Blut und Wasser geschwitzt. Wenn mein Sohn in den ersten Wochen zu lange ruhig schlief, machten wir aus Sorge vor dem Plötzlichen Kindstod kaum ein Auge zu. Natürlich legt sich die erste Aufregung und Unsicherheit irgendwann.

Windeln wechseln wird zur Routine, genau wie das Anziehen, Baden oder Ausflüge mit dem Kinderwagen. Doch immer, wenn sich ein Hauch von Routine eingestellt hat, kommt die nächste Überraschung um die Ecke. Luft im Bauch, Wachstumsphase mit minütlich wechselnden Stimmungen, die ersten Zähne, Beikost-Start, erste Schritte, die Autonomiephase mit all den starken Emotionen.

Jedes Mal fühlte ich mich ein wenig hilflos, jedes Mal half die Lebenserfahrung aus kinderlosen Tagen. Keine Vorlesung über Entwicklungspsychologie, keine pädagogische Erfahrung aus dem Studium. Inzwischen habe ich den Eindruck, Elternschaft ist ein ständiger Blindflug, ein Job mit immenser Verantwortung, für den es keine Ausbildung gibt, einer, bei dem man abends froh ist, nicht zu viele Fehler, nicht zu viel kaputt gemacht zu haben.

Hadere ich mit dieser Verantwortung? Keinesfalls, Elternsein ist eine ziemlich tolle und erfüllende Sache. Trotzdem ist es manchmal schwer im Bett zu liegen und zu wissen, dass ich abends wieder zu viel gemeckert und zu morgens wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe.

Und was hast Du am meisten über Dich und das Leben gelernt, seitdem Du Vater geworden bist?

Ach, unendlich viel. Meine Prioritäten haben sich gewaltig durch das Vatersein verschoben. Ich bin wahrscheinlich geduldiger geworden, habe gemerkt, dass klassische Karriere für mich kein Lebensziel ist und, dass 30 Stunden am Schreibtisch auch genug Zeit sind. Ich habe meine Liebe zu Sauriern wiederentdeckt und gemerkt, dass Zeit mit Kindern zwar anstrengend ist, aber nie zurückkommt. Ich liebe es, mit meinem Kind die Welt neu zu entdecken und einfach mit ihm Zeit verbringen. Und mein wichtigster Anspruch ist es, ein aktiver und präsenter Vater zu sein. Alles andere ist erstmal Beiwerk.

Elternsein und Liebespaar bleiben ist nicht einfach für viele Eltern. Was unternimmt ihr, um euch als Paar nicht zu verlieren?

Oh, das ist eine schwere Frage, gerade in Zeiten von Corona. Ich glaube, wir sind als Paar ganz gut durch die Pandemie gekommen und haben festgestellt, dass wir uns wirklich aufeinander verlassen können. Sonst arbeiten wir beide im Homeoffice und versuchen so viel wie möglich im Gespräch und Gefühl zu bleiben – zum Beispiel beim täglichen Mittagessen oder am Abend auf dem Sofa. Das ist nicht mega romantisch, aber wir wissen wenigstens, wie es uns im Moment geht und, was uns bewegt.

Wie wichtig ist Dir ME TIME? Nimmst Du Dir regelmäßig Auszeiten und wenn ja, wann und was tust Du dann?

Ich bin nicht so der Typ für Auszeiten und Me-Time. Ich versuche lieber die Zeit mit der Familie angenehm zu gestalten und meine Nerven zu schonen. Ein Beispiel: Ich hasse Basteln. Kleben, Schneiden oder Tuschen sind mir ein Graus. Deshalb findet das an Papa-Nachmittagen schlicht nicht statt. Mein Kind bastelt im Kindergarten schon genug. Außerdem erspart uns die Bastel-Verweigerung verklebte Finger, vollgetuschte Hosen und wildes Fluchen. Stattdessen unterhalten wir uns lieber über Dinos, fahren in die Bücherei, bauen LEGO-Städte oder stehen auf dem Spielplatz. Das macht mir auch Spaß und ist für mich quasi „ME Time“.

Welche wertvollen Erfahrungen bzw. Tipps würdest Du mit Eltern, vor allem mit Vätern, teilen, die zum ersten Mal ein Kind erwarten?

Das werde ich inzwischen öfter gefragt: einen Tipp habe ich auf jeden Fall. Redet vor der Geburt über eure Erwartungen.

In der Schwangerschaft hat man viele Dinge im Kopf: Einrichtung des Kinderzimmers, Wahl des Kinderwagens, Namensfindung, Kontrolltermine. Nur über unsere Vorstellungen von Familie sprechen wir viel zu selten.

Wie stellen wir uns das Leben als Eltern vor? Wer bleibt, wie lange zuhause? Wer unterstützt uns im Alltag, wie teilen wir uns die Aufgaben? Solche Dinge klingen kinderlos sehr theoretisch. Doch die Beschäftigung damit ist immens wichtig. Sie verhindert böse Überraschungen.

Ein Beispiel: Im Babykurs meiner Frau beschwerten sich unzählige Mütter darüber, dass ihre Männer doch gar nicht so engagierte Papas waren, wie der Generation der „Neuen Väter“ gemeinhin nachgesagt wird. Und ich kann sagen: Konflikte über unausgesprochene Erwartungen klärt man lieber im Vorfeld, als völlig übermüdet und genervt mit zahnendem Baby auf dem Arm. Noch mehr Tipps habe ich für das Elternmagazin Leben & Erziehen aufgeschrieben: https://www.leben-und-erziehen.de/familie/familienleben/tipps-fuer-werdende-vaeter-991365.html

Welchen Leitspruch/Leitsatz oder welches Lieblingszitat hast Du?

Frei nach Indiana Jones: „Nothing shocks me. I'm a DAD!!"

Lieber Birk, ganz lieben Dank für das sehr inspirierende und tolle Interview!